Der Dichter
Ich werfe ab die Erdenschwere,
ich ernte Worte aus dem Nichts,
ich ernte Worte aus der Leere
und mach’ zu Kindern sie des Lichts.
Ich geb’ mein Ich den Lichtgestalten,
verdichte mich zum einen Wort,
ich lass’ mich führen, lass’ sie walten
und fühl’ mich sicher an dem Ort,
dem Quell, aus dem wir alle schöpfen,
dem reinen Sein, dem einen Sinn,
der sich in unsern harten Köpfen
verdichtet bis zur Dichtung hin.
Bettina Oehmen
Immerhin
Nicht lieblos scheint die Umarmung
des Baumgerippes durch den Nebel,
der wie ein Gedanke aus mattem Licht
diese Dunkel-Schimmer-Rinde liebkost,
an der vielleicht nie ein Mädchen gelehnt
und womöglich gelacht hat.
Schwacher Trost durch Abermillionen
flirrender Tröpfchen, die mit ihren Lippen
Himmelgrau weit übers Maß hinaus
auf dem müden Körper verteilen -
auch eine Art Lachen und immerhin:
eine Umarmung.
Bettina Oehmen
Die kostbaren Schönen
An
goldgestreichelten
Abenden fließen die
Frauen weicher durch die
Gassen, mit leiseren Stimmen
fragen sie sich, ob das Kleid, das
sie tragen, eine Rose aus ihnen
macht
oder ein Vergissmich.
Wer wird all die Schönen
wohl lieben? Wird jemals
jemand sie besingen, all
diese Hibiskusblüten?
Und wären es
nicht so viele,
wäre die Welt
dann nicht
versehrt?
Bettina Oehmen
Gartenvogelengel
Wunschgetragen
erheb ich mich
flügelleicht
puste in die Wipfel
die den Himmel streicheln
windgeborgen dann
zurück ins Blumennest
des Winters
Bettina Oehmen
Reflexion
Was wissen wir von Gott,
wenn nicht dies eine:
dass niemals ein Atemzug geschähe
ohne den Beatmer.
Bettina Oehmen
Wanderung und Schlaf im Regen
In der Fülle neigen die Ähren
sich der feuchten Erde zu.
Regen perlt und hängt an schweren
kornbelad’nen Halmen. Du
lässt nicht ab von deinem Schreiten,
wanderst unbeirrt und dort,
wo der Himmel seine Weiten
in ein einz’ges kurzes Wort
wie ein graues Tischtuch bündelt,
dort legst du den himmelsschweren
Kopf zu einer kurzen Ruh’
in die kornbelad’nen Ähren,
deckst mit Himmelstuch dich zu.
Bettina Oehmen
Friedenstaube
Dies fette Biest, dies Taubenvieh
soll Friedensvogel sein?
Ja wüsst’ ich’s nicht, ich glaubt’ es nie,
dass dieses fette Taubenvieh
den Zweig des ölbaums trug.
Die Taube Noahs, denk’ ich mir,
war schmaler und war klein;
nicht wie dies dicke Taubentier,
nein, sicher nicht, so denk’ ich’s mir,
war sicher schlank genug.
Den Frieden bracht’ es uns gewiss
direkt ins deutsche Land;
auch wenn’s im Kohl sich oft verbiss
und häufig auf mein Auto schiss -
den Frieden bracht’ es her.
In Deutschland, ja, doch anderswo
ist heutzutage Krieg.
Die Tauben gurren weiter froh,
es ist ja weit und anderswo
und Fliegen viel zu schwer.
Drum hocken alle Friedensboten
ganz träg’ auf uns’ren Zweigen
und gurren über allen Toten,
die fetten, trägen Friedens,
den Gurre-Totenreigen.
Bettina Oehmen
Das Konzert
Sie woll’n und woll’n geeint
den Menschen atmen, der sich vorne gibt.
Mit einem Sinne tasten sie
und lehnen sich bis in sein Blut hienin,
das manchmal schneller pocht und manches Mal
in ruhigen Bahnen sich verströmt.
Er lässt sie in sich ein, berauscht,
und lässt sie reisen,
vergisst sie dann und sich...
und spürt sich wieder erst, wenn ihre fremde Kraft
zurückgenommen auf Gesichtern liegt,
darin er noch ein wenig schimmert.
Bettina Oehmen
Der Cellist
Wie eine Braut
wiegt er es
und flüstert ihm
sein Innerstes ein.
Es schweigt und horcht
und klagt dann alles aus.
Bettina Oehmen
Herbststurm
Ein kläffender Wind,
der struppige Wolken jagt,
manchmal aufjaulend
im Gebüsch verfangen.
Die Bäume Nadelkissen,
an denen verblichene
Garnreste tanzen;
Besen, die hastig den
seufzenden Himmel kehren.
Der Himmel perforiert
vom Wimpernschlag
nachtschwarzer Vögel.
Bettina Oehmen
Flamenco
In herbstlicher Buche
klappern die Kastagnetten,
verwirbeln die Ahornbäume
ihre buntscheckigen Röcke.
Die Weide wirft kokett
ihre Mähne in den Nacken,
während der Wind
mit drängenden Fingern
die Schultern der Birke umfasst.
Plötzlicher Blick,
aufblitzend wie ein Fächer,
aus starren Drosselaugen.
Ruckediku - aus dem Feuerdorn
quellen die Blutströpfchen,
nachklimpernd in
ruckartiger Stille.
Bettina Oehmen
Federschnee
Der Himmel schläft; ein Schwarm verfror’ner Krähen
schlägt unverfroren seine spitzen Schnäbel in das
Daunenbett, das er sich weit bis über’s Kinn gezogen.
Und sachte erst, dann immer schneller fallen Federn
auf die Tannen, die in dicken grünen Mänteln steh’n und lauschen
und unter’nander wispern: „Sag, ist das der Winter, ist es Schnee,
der auf uns niederfällt und unsere Mäntel sprenkelt? Es fühlt sich an
wie Daunen, kühl und leicht. Ist’s Schnee, ist das der Winter?“
Die frechen Krähen ziehen weiter und nur dort, wo sie erscheinen
und mit ihren Schnäbeln hick und hacken, färben weiß sich Welt und Wald.
Bettina Oehmen
Dezember
Sieh: unter dem verschliss’nen Laken aus Dezember
atmet die Stadt. Die Weiden legen Strähnen auf die
matte Haut des Flusses, der das Nichts verspiegelt
und sich grau in grau ergibt. Kein Wind, nicht
einmal einer, der die Lippen spitzt und Nebel
haucht, nicht einer, der dein Herz in Watte packt.
Dein Herz, dein Winterherz, es pulst im Takte
deiner Schritte, die nach Haus’ du lenkst;
dein Haus, dein Winterhaus, in dem es wundersam
aus allen Ecken flüstert: Sei nur ruhig und
ruh dich aus und warte, bis ein neuer Sommer naht
und neues Glück; und wenn dann Sonne ihr Gesicht
aus Wintergold noch vor dem Abend in dein
Fenster hängt und lacht, dann weißt du, dass du
alles liebst, ob grau, ob bunt, ganz gleich -
du liebst es, weil es ist wie’s ist.
Bettina Oehmen
Das Supermodel
rankenschlank sein
gertenlang sein
und nur Bein sein
immer Schein sein
nie allein sein
mittenmang sein
niemals bang sein
fit und jung sein
auf dem Sprung sein
rattenscharf sein
nach Bedarf sein
nicht zu kalt sein
bloß nicht alt sein
hot und geil sein
super Teil sein
sonst kriegst du was
vor dein Schienbein
Bettina Oehmen
Klausur
Kein Halt heute
am vereisten Himmel.;
sein Grau leergesucht
von pickenden Schnäbeln;
die Bäume Abdrücke
im Stahgewölbe.
Bettina Oehmen
Winternacht
Ich seh’, es ist ein Schnee gefall’n
aus weiß geweinten Tränen,
und deckt die kalte Erdenhaut,
so weit das Auge sucht und schaut,
in einer Winternacht.
Und Spieglein, Spieglein an der Wand,
das hat es schon gesehen,
und sagt es leis’ und flüstert’s nur,
in einer Winternacht.
Du weißt es schon, ich hab’s geseh’n
und hab’ davon geträumet,
und hör’ die Stimme leis’ und laut
und hab’s geseh’n und hab’s geschaut,
in einer Winternacht.
Und denk’ an Flammen, denk’ an Glut,
an wärmendes Geatme,
und hüll’ mich ein in Feuersbrunst,
in einer Winternacht.
Und Duft und Harfe, blaues Band
und Veilchen sondergleichen,
die denk’ ich mir und hör’ sie schon
mit unvergesslich schönem Ton,
in einer Winternacht.
Bettina Oehmen
Notwendige Frage
Wenn du sie fragst, wird die Not sich wenden.
Wenn sie sich wendet, wird sie dich fragen: wohin?
Soll sie sich wenden an den, der vielleicht die Antwort nicht weiß?
Oder soll sie, um Antwort verlegen, sich aufs Fragen verlegen,
während du dich, verwundert und nicht bewandert
in Fragen der Antwort, Dich wendest, um anderswo Antwort zu finden?
Doch frage nicht ob, sondern frage: „Wenn schon, wann?“
Ich sage dir: „Jetzt!“ und: „Um die Wende wirklich zu bewirken,
wirst du die Not benötigen, denn sie verleiht dir die Kraft,
nach dem Notwendigen zu fragen.“ Und: „Frage dich selbst,
denn es ist deine Not, die es zu wenden gilt. Noch Fragen?“
Bettina Oehmen
Unsere Kinder
Sie halten uns den Spiegel vor,
in den aus freien Stücken
wir etwas zaghaft blicken.
Sie sind wie wir und sind’s doch nicht
und sind ein gänzlich neuer Ton,
ein neues Stück, das polyphon
dies Zeitalter wird wenden.
Wir nehmen es aus ihrer Hand,
wie sie es einstens geben:
dem Neuen neues Leben.
Bettina Oehmen
Gut und Böse
Du bist die Böse, ich die Gute,
sprach ich zu meinem Schattenbild,
ach, wie war mir so wohl zumute,
dass ich so zahm und es so wild.
Ich schloss den Schatten in mir ein
und tat, als gäb’s ihn nicht,
und außen war ich Sonnenschein,
doch drinnen war kein Licht.
Ich sprach zu Gott: Nur du bist schuld,
dein Rätsel ich nie löse!
Warum schufst du in deiner Huld
den Menschen gut und böse?
Da sprach er: Gib den Schatten mir,
verschließe nicht die Augen.
Da - schau ihn an - wie gleicht er dir,
doch wozu soll er taugen?
Er ist so hässlich und so klein,
schau ihn in seiner Blöße.
Entscheid dich: wie willst du sein?
Die Freiheit gibt dir Größe.
Ich schwieg sehr lange zu ihm auf,
mein Schatten hing dort kläglich,
es war mein Stolz, mein Hass, mein Neid,
ich schämte ich unsäglich.
Ich sprach zu Gott: Das will ich nicht,
ich bin nicht dieser Lumpen!
Ich bin wie du aus reinem Licht,
nicht länger Erdenklumpen.
Da lachte Gott und alle Welt,
und Mond und Sonne sangen:
So ist der Mensch, der uns gefällt,
ist frei, nicht mehr gefangen!
Bettina Oehmen
Wie könnten Menschen Christen sein,
wenn sie das Heil begriffen,
wenn sie nicht sähen nur den Schein,
wenn sie sich schenkten reinen Wein
in ihre feinen Gläser ein
mit Rändern, rund geschliffen.
Geschliffen könnt’ der Mensch auch sein
zum allerschönsten Kelche,
und Christi Botschaft würd’ allein
in jedem funkeln wie der Wein,
den wir uns selten schenken ein.
„Die Botschaft?“, fragst du. „Welche?“
Bettina Oehmen
Himmelsfenster
öffnet
sich
eines
dieser
Himmelsfenster,
dann strömt Licht herab
und Wissen um die
Gesetze der
Schöpfung.
Bettina Oehmen
Der Froschkönig
Selbstfindungsversion für Männer
Wenn Du Dein Ohr magst forschend neigen
dem Innern zu, was es wohl sagt,
so will sich Dir dort offen zeigen,
was manches Mal nicht sehr behagt.
Doch wenn Du tapfer Dich wirst fragen,
wer Du wohl seist von Anbeginn,
wird man Dir sicher Wahres sagen,
mach weiter und schau richtig hin.
Sieh: wenn im Worte „forschen“ Du
zwei Stäbe tauschst und zweie streichst,
dann wird aus „forschen“ „Frosch“, nanu!
- ein König, dem Du baldigst gleichst.
Durch der Prinzessin wilde Liebe
wardst Du befreit, das ist nicht dumm.
Jetzt brauchst Du nicht mehr ihre Hiebe,
jetzt schlag’ Dich mit Dir selber rum.
Bettina Oehmen
Freiheit
In Herzen aus Ebbe und Flut wildern
Piraten, nehmen sich Geiseln und morden
und schänden; und du, im Kerngehäus’ deiner
Zuflucht, senkst den Blick auf die Schatten,
die du auf dich selber geworfen,
und Ahnung erfüllt dein Gemüt.
Befreier sein kann nur einer, der weiß um
die Klippen, versandeten Buchten, um Anker
und Nixen im grünblauen Hort deiner Augen.
Willst du es wagen, willst Rettender sein
oder demütig Wellen dir pflügen in Wäldern
am Grunde des Ozeans?
Niemals vergessen, du lagerst am Grunde,
die rostigen Haare verwoben mit Krügen,
mit Münzen aus Gold und Metallen, die
‚Liebe’ dir klimpern, die Liebe, den Hass.
Willst du die Freiheit, sprich, willst du sie,
willst du? So sag nur ein Wort.
Bettina Oehmen
Weihnachten
Der Weihnachtszauber legt
sein gold’nes Band um deine Stirn,
auf dass du bist geschmückt fürs Fest.
Und jede Kerze, die du jetzt entzündest,
bringt dich näher zu dem Licht
und zu der Wärme, die nicht Wüste ist
und nicht Verderben, sondern Christi Liebe,
die dich trägt durchs neue Jahr -
doch nur, wenn du dich tragen lässt.
Bettina Oehmen
JANUAR
Die guten Vorsätze
Das Neue Jahr ist unbefleckt und rein wie frisch gefall’ner Schnee,
drum tut es auch, wenn’s matschig wird, dem Auge ganz besonders weh,
denn ein Symbol für edle Anmut und Gesinnung ist das Weiß,
und auch wir Menschen wollen gelten sündenfrei um jeden Preis.
Nun reicht es leider nicht, das ist gewiss, nur so zu tun als ob,
denn jemand, der nach außen freundlich ist und innen gar zu grob,
dem fällt auf Dauer die Verstellung allzu sehr zur Last, er kann
sich weder wirklich täuschen noch täuscht er den Nebenmann.
Die wahre Reinheit, ja, sie lockt und strahlt mit ihrem Heil’genschein,
doch, Hand aufs Herz - nun gar so sündenlos will man doch gar nicht sein.
Die edlen Sünden, wie das Bier, der Wein und andre Sinnenfreuden,
die möge man ans Nichttun nicht so ganz und gar komplett vergeuden,
denn warum sind wir hier auf dieser schönen, gottgegeb’nen Erde?
Doch um zu grasen, ob als Einzelschaf oder im Schoß der Herde!
Wir sollten gut sein, das ist klar, und dies aus völlig freien Stücken,
den Neid und Hass, die Wut und Gier zehn Meter weit ins Abseits rücken.
Doch sollten wir den mind’ren Sünden einen kleinen Freiraum geben,
der Schneematsch, der gehört nun mal zu einem echt gelebten Leben.
Bettina Oehmen
februar
ich liege wie strandgut
blick hinaus denk mir
bunte flügel an den
himmel der so bleich
ist heute immerhin
die graue sonne wohnt
wieder im baumwipfel
der sie mit spitzen
fingern hält aus angst
sie könne zerschellen
auf dem krustigen
boden weiter hinten
das stoppelfeld unterm
stacheldraht der frühling
raus darf er noch nicht aber
grüßen ist erlaubt sagen die
krähen - von ferne
wir alle warten
auf ihn
am tor
Bettina Oehmen
Karneval
Wenn wir wieder, allerorten
uns verkleiden und vermeiden,
dass man uns erkenn’ an Worten
oder Taten, wie’s geraten wäre,
wenn man uns erkennen sollte,
dann könnt’ man sich fragen oder
philosophisch kommentieren:
warum lieber sich verlieren
in Personen oder Tieren, deren
Eigenschaften man sich könnte
kaum erwehren, wenn man’s wollte?
Warum also mag der Mensch
in regelmäßigen Sentenzen
seinen Alltagstrott ergänzen? Wäre
es darum, dass er sich selbst nicht
schätzte, wie er ist und vielmehr
sich ersehnte etwas Bunt’res,
ein Gemenge aus Geschichten,
etwas, das nach Abenteuern klänge?
Möchten Carne Vales Zeiten uns
vielleicht dazu verleiten, uns’re
Eigenart zu schmähen? Doch
gesetzt den Fall und angenommen,
es geschähen all die schönen Dinge,
die wir lassen springen über
uns’res schnöden Alltags Klinge -
wären wir dann mehr wir selbst
und dennoch immer wieder nur
in liebgewohnter Alltagsspur die
Masken uns’res Sehnens? Ach, was soll’s,
wir wollen feiern und uns, wie in
jedem Jahr, ein klein wenig Neues
aus dem ewig Alten leiern.
Bettina Oehmen
Des Dichters Abend
Und wieder steigt eine Sonne hernieder
auf Wipfel und Dächer,
und gleich einem Fächer
verbreitet sich Licht.
Und wieder singt eine Drossel die Lieder
der Nester, Gespenster
der Nächte im Fenster
erschrecken mich nicht.
Und wieder verleiten mich Traumgesichter,
nicht länger zu bleiben.
Ich will mich verschreiben
in Himmel und Sand.
Und wieder verknüpfen sich Worte dichter,
es bleibt nur ein Wille,
und in aller Stille
verharrt meine Hand.
***
Feld unterm geschärften Licht
im geschorenen Flachshaar
knistert der Wind
Baumschatten mit hohem Stiel
in inniger Umarmung
nahender Regen wirft Schwaden
wie Flechten übers
Antlitz des Himmels
Tag wird wie Seite gewendet
Frühling
Die Blumen singen,
die Vögel zwitschern Gedichte,
die Fische dozieren über
die Temperatur der Meere.
Der Wind leckt an den Wipfeln
der Bäume, die wie
vom Himmel gefallene Sträuße
nach Frühlingstaumel duften.
Die Wolken gelüstet es
nach Regenschirmen aus Stoffen,
die den Himmel spiegeln
und auf denen Rosen und Lilien
das vorwegnehmen, was
die Erde noch in ihrem Schoße wiegt.
Wir wollen all das lieben,
all das Gespendete, das
fraglos sich Gebende,
das sich uns anvertraut
in der Gelassenheit des Glücks.
Mein Leib der Gitarre
Du oder ich - wer sang es zuerst?
Hast schon gehört, was ich dachte und empfand
und wobst es in eine zitternde Linie
aus Luft und Resonanz überm Fichtenholz,
du, immer auch Baum mit schwingendem Geäst,
immer auch Himmel, aus dem du Klang geschöpft,
farbiger Raum für Ohrmuschel und Herztanz,
immer auch Liebe und Labsal - saitenlang.
Bist immer für mich da,
lagerst stumm und abwartend, bis ich dich endlich umfasse
und du an mich geschmiegt eins wirst, mein Leib der Gitarre,
Sprachrohr meiner Seele und dennoch Einflüsterer
geheimer Welten jenseits von dir und mir,
die Anteil haben am immerwährenden Gesang der Sphären,
du, mein Leib der Gitarre.
Bettina Oehmen
DER GITARRIST
Sturm und Streicheln in einer Hand aus Herz,
dessen Schwielen sich die Sprache der Saiten
zu eigen gemacht, um nicht zu schweigen
über dem Abgrund der Liebe.
Derselbe Gesang, derselbe Orpheus auf den
Pfaden der Unterwelt, unverrückbar in seinem
Streben nach Licht, den Schatten lauschend zugeneigt,
um ihre Klage in Klang zu verwandeln;
einer, der, was er verlor, in immer neuen Melodien
hinzugewinnt, in einem nicht enden wollenden Reigen
aus Himmel und Erde, aus goldenen ähren
und Kornblumen, die sich wiegen im Tanz eines Atems,
der sie umfängt wie die Mutter das Kind.
Immer neue Liebe singt er, immer neue Traurigkeit,
und misst seine Kraft an dem, der ihn schuf.
Bettina Oehmen
Frühlingssturm
Der brüllende warme Atem
des Frühlings lockert Dachziegel
und wirft Gänseblümchen tot,
staucht Bäume vom I ins U,
bläht Radfahrer
zu widerspenstigen Melonen,
zerschlägt Regentropfen
zu süßer Gischt, die
den grad’ erwachten Bienen
die Sicht vernebelt und
dem Tag den Stachel nimmt.
Stürmt respektlos, der Chaot,
der liebenswerte,
der den Frühling bringt.
Bettina Oehmen
Anfrage
Wer schlägt die Decke des Winters zurück,
damit wir sehen können, wer sich darunter räkelt?
Wer, denkst du, verdient denn das große Glück
unter all dem feinen Weiß, mit Spitzen behäkelt?
Liegt dort der Herbst, der mit seinen lederbraunen,
verschrumpelten Kastanien- und Eichblätterhänden
unterm Nachhall des Windes in verschämtem Raunen
sich hält die nimmersatten Lenden?
Wir wüssten’s nicht, wenn wir nicht schon ein wenig länger lebten.
Doch diesmal wieder: Aufgepasst! Es soll uns nicht entgehen,
wie aus dem Linnen jetzt, dem fein gewebten,
ein neues Wesen will erstehen,
ein buntes, vielgestaltiges mit Flügelschlagen,
ein zartes, noch ganz durchsichtig gestaltet’ Wehen,
eine Geburt ganz ohne Jammerklagen -
das ist der Frühling, muss ich es noch sagen?
Bettina Oehmen
Eintritt der Nacht
Wie ein Gewand
aus halb verwaschn’er Seide,
das nach und nach zu Boden gleitet,
hat sich die Nacht um ihre Schultern
letztes Licht gelegt.
Anschwellend
das Gelächter der Gestirne
im Raum, der ausgeatmet ragt
bis in den Morgen.
Bettina Oehmen
Unveredelt
Ein wilder Trieb
an edler Rose,
ein scheuer Dieb
an edlem Wuchs;
ein Aufbegehren,
ein zartes Wehren
aus rosa Augen,
ein sich-Verzehren -
Dornröschengruß
aus einer Zeit,
als Schlösser noch
in Rosen schliefen.
Bettina Oehmen
Politik
Ich
habe
heute
eine Mücke umgebracht.
Für sie war ich der Tod; in meinen
Augen war ich der gnädige Tod, denn
ich habe sie schnell sterben lassen. Mein
Werkzeug war nicht die Sichel, sondern
die Tageszeitung. Und somit wurde die
Mücke gewissermaßen Opfer deutscher
Innenpolitik.
Bettina Oehmen
Lebenswerk
Ein Mann
wie ein Bauwerk
aus einem Guss, ein Verglaster,
ein Argvoller, sein Lügen verlächelnd
in Konventionen,
die er nicht zu haben glaubt,
an denen er festhält,
um nicht zu zerspringen.
Ein Getriebener, Unsteter,
Gast ohne Willen, ein Unfreier,
der sein Revier verteidigt wie ein
Dachs; einer, der hastig genießt,
der Gefahren nie zu umgehen weiß
und darin umkommt, der Verlust
als Gewinne bucht, ein Ungewisser,
den sein Gewissen in Fluchten treibt
wie in Sackgassen, die er in sich
spazieren führt.
Bettina Oehmen
AVIGNON I
Das Klappern der Tassen,
das Fallbeil der Düfte,
der sprechende Atem
aus atemlos Atmen.
Auf grünenden Polstern das Licht.
Das Kosen der Tauben,
ein Stimmengelächter
und mächtiger Himmel
aus blaufadem Atem
der greinenden Kinder. Das Licht
ein streichelndes Zwinkern.
Reich mir deine Tränke
aus Sehnsucht und Weibern
und Männern und Atem.
Denn atemlos atmet das Licht.
Bettina Oehmen
Nationale Witterung
Der pausenlose Regen hat sich selbst erschöpft,
abrupt verzieht er sich, geht eine rauchen.
„Dazu“, sagt er, „wird diese Flasche Wein geköpft,
ich kann den roten Schluck perfekt gebrauchen.
Verspür’ auch Hunger auf Pastete, Krustentier und Chèvre chaud,
dazu Baguette und Tapenade, ein Fruchtsorbet und sowieso
such’ ich mir ein paar Freunde, denn ich ess’ nicht gern allein.“
Das sagt mir ziemlich klar: Der Regen muss Franzose sein!
Bettina Oehmen
AVIGNON II
Im Klostergarten am alten Gemäuer
über den Balkonen Efeugeraune
in Nischen und Balustraden
wild gewordener Wein
unter Schirmen auf wackeligen
Pflastersteinen balancierende Stühle
Landgerüche nach Ziegenkäse und
Dressing aus blankem Weiß
wahllos die Kost für Touristen
auf Engelsfüßen das Evian
schwillt an wie eine Flut
ich schleppe es über die Geschichte
der Stadt sonderbar ohne
Veilchenaugen blickt der Himmel
zügellos die Wolke überm
Baugerüst das Segnen hat ein
Ende.
Bettina Oehmen
Fraglos
Unterm Gegurre der Stimmen Platanengewipfel,
im Sturm der Gefühle hol ein meine Segel.
Hab ich schon zu lang deinen Dämon geritten,
den Sturz schwarzer Flügel im Federgewirbel
nicht abgefangen? Denn einzig gemildert
von weichen Armen wär’ sanfter Atem.
Wer wiegt dich bei Nacht?
Bettina Oehmen
Hotelfrühstück
„Obst“, spricht das Obst
Farbe mit Geschmack
schmilzt ohne Zungenschlag
Weltraumnahrung?
Bleiche Tomaten
lippenstiftrot die Salami
viereckige Marmelade
Butter aus Kuh?
Das Müsli klappert
am weißen Zahn aus Joghurt
Zuckerkorn dampfend
der Tee hustet
Ei aus Huhn?
Küken unterm Löffel
Käse meckernd im Quadrat
abgedeckter Himmel
Bettina Oehmen
Anfrage an den Schriftsteller
Du verdienst dein Geld mit Worten,
aber liebst du sie auch?
*
Es
gibt
nichts
Einsilbigeres
als einen Schriftsteller,
der
schreibt.
Bettina Oehmen
KarrussellkircheKarrussell
Die Pferdchen mit Nüstern,
gebläht wie die Segel des
Windes, sie dreh’n sich
und wiehern durch Kindermünder.
Platanenlaub, Flüstern
der Tauben, Fassaden, die
Hände der Sonne,
verwegen. Der Säulenverkünder
im Kirchenschiff, Lichter
aus Glas, bunt gewünschte,
ein Lachen, Gemurmel,
ein Streicheln aus klingenden Stimmen,
verzweigter und dichter
das Weben aus Farbe und
Düften; würd’ Pferdchen ich
sein, wollt den Himmel noch heute erklimmen.
Bettina Oehmen
In dieser Nacht
In
dieser
Nacht,
so kalt, bist du
die Hitze des Sommers mein,
duftend nach Haut und nach Pinien,
bist mein Lavendel. Du bist Wacholder mein,
in deinen Händen ein Sirren, Zikaden am Waldessaum.
Du bist die Stimme im Zentrum der Schwärze, bist Auge
aus Mond und Gestirnen, bist Atem, der mich befeuchtet
und tränkt meine Erde, du, Hitze des Sommers mein.
Bettina Oehmen
Das Fenster
Du öffnest das Fenster
und gleich einer Flut
strömt grün das Silber hinein.
Der Vollmond, ein kupferner Spiegel,
verschimmert sich droben
und legt dir sein Tuch
so behutsam, so zärtlich
um Schultern und Nacken,
dass Liebender neidisch könnt’ werden.
Doch hüt’ dich, sei wachsam!
Das Licht, das er
narrenfrei gab, ist geborgt.
Und die Sonne, die Kühle,
wird’s morgen schon fordern,
denn alles, was je sie gegeben,
das will sie zurück.
Bettina Oehmen
Umschwung
Sommer küsst Winter.
Weiß der Himmel davon?
Er schaut so unschuldig drein
und so zufrieden mit seinen
blauen Augen, dem stillen
Atem, wie nach einer
vollkommenen
Liebesnacht.
Bettina Oehmen
Mistral I
Immer neu bläst der Wind den Sand
aus der augenblauen Schale.
Ich beginne ihn zu lieben, diesen
Grobian, auch wenn er sich
wieder und wieder einmischt
mit seinem Schwalbenblick,
dem Kussmund, den unverschämten
Fingern, die immer dort sind,
wo der Putz schon blättert
und die Türen klappern.
Ich beschau die Wolken, die,
am Horizont, wie dunkle
Baumwollflocken abgeerntet,
eben noch zum Tanze riefen,
wie sie flüstern jetzt
und schweigen und vergeh’n.
Und so erwart’ ich ruhiger nun die Nacht.
Bettina Oehmen
Mistral II
Der Mistral
bläst mit vollen Backen, er
nimmt alles aufs Korn, respektlos
und unbefangen wie ein Kind, rüttelt
er an den Pferdchen des Karussells auf dem
Place de l’Horloge, und weder ihr bonbonfarbenes
Wiehern hält ihn zurück, noch das Knirschen der
Scheiben und Räder. Und nun weisen ihn streng
die hohen Platanen zurecht, aus brüllenden
Wipfeln, sie beugen sich nicht, die Alten,
vor diesem Frischling in lässigem
Himmelblau; sie verbünden sich mit
der Sonne und fordern: „Fessel ihn mit
deinen Händen aus gesponnenem Gold,
verstricke ihn in Liebesschwüre, lass ihn
nie mehr entweichen, er ärgert uns!“
Die Sonne indes klammert
sich an die Madonna hoch über dem
Papstpalast und lässt jene nicht los,
statt sich um den Frechen zu kümmern.
Nun seufzen die greisen Platanen und
schütteln nur müde die Köpfe und
fühlen sich einsam.
Da jauchzt der Mistral
und treibt es noch doller und
fegt und saust durch die Gassen, lässt
blecherne Schilder sich überschlagen, reißt
an Gardinen und bringt selbst die Vögel
gegen sich auf!
Und nur wenig
später lächelt er plötzlich ruhig
und gelassen und lässt sich wie eine
Taube zu Boden fallen. Er flüstert müde:
„Jetzt hab’ ich genug, ich lege mich schlafen.
Spielt weiter, ihr kommt schon ohne mich aus.“
Bettina Oehmen
Himmelsvolk küsst Erde
Im Aufblinzeln der Sonne erste Ockertöne.
Ginsterbusch erinnert gelb sich
an die Bienenküsse unterm Tagmond,
an das Streicheln, Summen. Dort, wo Juni
noch im Mohn die Matten ausgebreitet,
dort, wo Erde sich erst räkelte,
um später sommerwarm und wonnig zu erwachen,
liegt das Weizenfeld, schon abgeerntet,
und, vom Sonnenmund verwöhnt, erschöpft,
bereit, den Segen zu empfangen und
den Sterbenshauch des Winters.
Bettina Oehmen
Blumenorchester
Vergebens schau’n die letzten Sonnenblumen
im Knitterfrack zum Vorhang Himmel,
das Dirigat der Sonne wurde aufgehoben;
man entlässt mit ihr die ganze Schar,
die nur für einen Sommer lang man engagierte.
Wohin soll’n sie sich wenden, diese strebsam
aufeinander Eingespielten, sonnenwarm
und gelb und braun vor Lust am Leben?
Ist gar nichts mehr zu machen? Sag? Kein Solo? Nichts?
Soll’n sie nicht üben für das nächste Probespiel?
Doch, horch, sie haben längst Musik gesät,
sie klingt und dehnt sich in der roten Erde,
rankt in Wurzeln, unterirdisch; alte Melodien, horch:
ein Männerchor singt längst sie in der Unterwelt!
Bettina Oehmen
Gnädig
Langsam
verrostet die Sonne,
Spuckemond rinnt von
der Himmelsscheibe,
tropft auf das Metall
deiner Wünsche.
Plopp!
Dieser hier
geht in Erfüllung!
Bettina Oehmen
Trinkspruch für den alten Olivenbaum
Die Früchte ins Haar gesteckt,
segmentiert er das Blau mit
salbeifarbenen Lanzetten.
Lederhaut der Stamm,
Rindenfluss,
in tönerne Erde gedacht.
Goldbeträufelt sein Blick,
Ahn’ des Ahnen,
kein Schattenwurf.
Auf ewige Jugend, Alter!
Bettina Oehmen
ER
Am Nachbartisch Engländer, wollüstig absorbiert
in die Beschäftigung mit einer Nicht-Anwesenheit,
genannt ER, wichtiger Bestandteil ihres Seins,
zentral womöglich.
„Er mag diesen Ort hier nicht. Er sagte gestern, er
verabscheue
ihn. Er ist ein Ignorant, ein Snob.
Er trinkt den Kaffee schwarz, ohne Zucker!
Er ist ein Asket. Gestern sagte er, er schlafe
besser,
wenn er wisse, dass niemand auf ihn warte.
Er ist ein Lügner, er tut nur so als ob er uns nicht
brauche.
Im Papstpalast hat er gesagt, er glaube nicht.
In der Kirche hat er gelacht. ‚Warum auch
nicht?’, hat er gesagt. Dabei hat er die Hand
nicht
vor den Mund gehalten.
Wir lachen auch, aber nicht in der Kirche.
Er hält uns für verklemmt, für hinterwälderisch.
In Wirklichkeit ist er der Ignorant, der Snob;
er kennt nur sich. Er mag diesen Ort hier nicht.
Besser, wir hätten ihn nicht mitgenommen.“
Man hat mich neugierig gemacht auf diesen
ER.
Bettina Oehmen
Freitod im Himmel
Wolkige Wunden im Azur
des über uns gestülpten Meeres.
Schaum auf den Lippen dein,
blaues Gesicht, gischten dein
Atem, ziehst mich hinauf,
mit Nixenarmen, tauchst mich
über, trunken vor Tod,
lass dich segnen mich.
Bettina Oehmen
Kino
All das Gelebte auf der Leinwand,
als seien wir die Toten;
all das Leiden, all die Freuden,
als seien wir gefühllos;
all die schönen Gesichter voller Dramen,
als seien wir hässlich und fade;
all das Töten und Sterben,
ganz so, als seien wir lebendig.
Bettina Oehmen
DER UNGEDULDIGE PIANIST
Es stolziert grazil mein Stammcafé auf roten
Stühlen, Debussy webt Tischtuch und Gardine;
feigengleich das Notenblatt, das sich nun wendet
mit dem Wind, der Süden meint und Norden geigt
in einem Stück, das sonnenwarm die Saiten fächeln
sollte, ein Schattenlicht gelegt um Schultern dessen,
der die Perlen reiht. Hab’ nur Geduld, du Flirrender,
sei gnädig mit dem Sehnen, das der Hand entschlüpfte
und gefangen im Pedal nun hängt. Ein Rat nur unter
Freunden:
Sag, wie wär’s mit: „Langsam üben?“
Bettina Oehmen
Zuchtmeister
Schritt für Schritt lassen wir Zeit hinter uns liegen,
angeschwoll’n von alledem, was wir gefühlt,
gedacht, gesagt - all das, es türmt sich hinter uns,
während das vor uns Liegende,
das Namenlose, Formverheißende
ergriffen werden will durch Fühlen, Denken, Tun.
Und weigern wir uns, steht die Zeit uns
doch nicht still, sie reiht uns perlengleich in ihr
gestrenges Raster und immer weiter fort
bis hin zum Ende allen Anfangs.
Bettina Oehmen
Rat des guten Freundes in mir
Klebe deinen Schatten an die Wand,
dann kannst du bleiben,
schleud’re deine Worte raus ins Meer
und lass’ sie treiben.
Anker deinen Fuß im Firmament,
dann strahlst auch du;
lach’ dein Lächeln leiser,
denn die Vögel hören zu.
Bettina Oehmen
Avignon ade
Siebenmal sagst du dir Abschied, neunmal
Wiederkommen. Was wiegt schwerer?
Liegt dein Herz im Brustkorb oder auf dem
Kopfsteinpflaster dieser Stadt aus weißen
Kirchen und Madonnen, die die Hände
stets erhoben halten? Segnen sie dich noch?
Vielleicht ergeben sie sich vielmehr deinem
Abschiednehmen, siebenmal und werden
neunmal segnen dich, wenn du dann
wiederkommst.
Bettina Oehmen
Ode an die blaue Blume
Im Tiegel angemischter Blaus
vorsichtig entblättert
und vor lauter Duft aufgesogen
in Sphären göttlicher Wahrgebung.
Etwa so wie das Blau im Auge
der Schöpfung, heller blau als Himmel
vor dem blitzartigen Niedergehen
fälliger Waschungen, dunkler indes als
ein beliebiger Morgengruß mit zur
Sonne enthobenem Horizont,
ewig Blaue, du, auf der Suche nach
Gültigkeit im verherzten Muskel
schlagender Menschlichkeit,
Maßgabe der Liebe, die dich schuf
im Himmelsheute.
Bettina Oehmen
Leben-Zeit
Die Stunden an die Leine der
Fassungslosigkeit gelegt; im
Nirwana spazieren geführt, um
ihnen nicht folgen zu müssen in
die Schubfächer eingebildeten
Wachstums.
Wirklichkeiten verwechselt und
auf Zeitlosigkeit gepocht, immer
auf Holz, damit das Glück sich
nicht nur an andere wendet, die
es vielleicht oder besser verdient
haben, bloß nicht zu Zeiten
wie diesen.
Niemals Minuten vergeudet im
Hinblick auf etwaige Glücksmomente,
die es einzurahmen gilt in die
Fassung erinnerter Lebendigkeit.
Bettina Oehmen
Frage nach dem Krieg
Der Mond weht am Him-
malvenfarbiger Horizont
wie Herbstlaub
oder
verweinte Augen hat der Him-
Millionen verweinter Augen
Der Mond geflaggt zwischen Wol-
kantiger Tau
geronnenes Herbstlaub
wie Blut zwischen Wol-
kannst DU mich hören?
Bettina Oehmen
Los-Leben
Tag um Tag verrinnen wir;
Einweisung ins Paradies der Hölle
nach dem endlichen
Tod um Tod,
während die Zeiger des
Lebenshungers auf stur stellen;
Stund um Stund ver-innern wir,
dem Sein entgegen,
Los um Los,
den Himmel zu gewinnen,
um Leben oder Tod.
Bettina Oehmen
SPRACHE PASSIONIERT
Labsal
einzutauchen in das Metrum der Sprache, das
Stauen und Fließen, Fremd-Werden-Lassen unter
bekannten Vorzeichen, Gruppieren nach niemandes
Vorgabe, dem inneren Drängen der einander stoßenden
Konsonanten folgend, die, ohne die Pufferzone der
Vokale, sinnentbehrt und verletzungsgefährdend,
durch Schaden niemals klug werden würden ohne
des Dichters lenkende Hand.
Labsal
einzutauchen in die Melodie des überaus-zu
-Sagenden, sich treiben zu lassen im Strom des
schon überfließenden Sinnes, der, gestaut am sich
Wehren des Unterbewussten, mehr enthüllt als er
doch verstecken sollte. In deinem
Spiegel,
Sprache, begegne ich mir selber, blättere in meinen
Seiten, betaste die Wunden, die ich mir schlug im
überschwang des Seins, ahnungslos vertraut mit der
Wucht der Hiebe, die ein Nichtgesagtes im Augenblick
des anderen versetzen lässt;
befreie jetzt die in mir Wartenden, die länger schon
an Tags gesteckten Stäben rütteln und Eingang suchen
in dich, Sprache, meine
Labsal.
Bettina Oehmen
Miss-Wahlen
Ein neues Pfund Fleisch.
Kann es lächeln?
Hintern okay.
Beine drei Zentimeter zu kurz.
Kniescheiben zu dick.
Vorne, na, ja.
Nase? Ach, du dickes Ei!
Busen? Taille?
Zollstock her!
Kann es sprechen?
Braucht es nicht.
Es hat einen Namen?
Wozu denn?!
Bettina Oehmen
Missbrauch
Ich greife in dein Sein ein
und lass’ dich nie mehr heil sein.
Ich sehe deine Grenzen nicht,
da es an Grenzen mir gebricht.
Ich kann, so oft ich will, dir nah’n,
dein Körper ist mir untertan.
Ich geb’ dir Schutz auf meine Art,
ich kann so weich sein und so hart.
Ich nenn’s nicht Liebe, weiß davon
so gut wie nichts, du weißt es schon.
Ich bin, was alle andern sind -
ich bin der Vater, du das Kind.
Bettina Oehmen
Al Qaida
über den Dingen, die täglich passieren, die Zähne zücken und
nachsichtig schreckverheißend lächeln; den Fortschritt nach
Leichen bemessen und Türme der Falschheit mit einem sanften
Wimpernschlag in Unsicherheiten wiegen, mit Damoklesschwertern
die Gedanken derjenigen ritzen, die etwa
noch Hoffnung hätten.
Dem Terror die Chance geben, sich in selbstmörderischer Absicht
über die Brüstung des Paradieses zu lehnen, in denen die Huris
Sprenggürtel tragen und den Himmel der anderen mit ihrer Liebesglut
ersticken, immer mit der lockenden Aussicht auf ein verschlossenes
Fenster im Fenster der Seligkeit.
Endlich aus den Armen der Bedeutungslosigkeit in die Spalten
der Times fallen, in den Freigeist gezügelten Anstands, dort Schaden
wie eine Dattelspeise anrichten. Wahrheiten versprengen wie
Granatäpfel, mit aufgeplatzter Trennhaut überm blutigen Saft für
Grenzgänger des Friedens.
Die Augen wie Kohlen in fremde Feuer geworfen Asche in Pupillen
streuen, die Lügen strafen vor Himmelsbläue. Schließlich
schreckverschleißend und in den Armen verwunderter Jungfrauen den
Heldentod bis zur völligen Neige versuchen, sich friedlich einreihen in
die Horde schon gezeichneter Schafe auf dem Weg zum endgültigen Seligwerden,
auf dem glitschigen Blut des Leithammels rutschen bis weit
in den Garten Eden hinein.
Bettina Oehmen
Schwester Katharina,
wie sie so dasitzt
mit geflügelten Augen,
die Wimpern wie Engel
am Gelichter des Himmels haftend;
wie sie die Hände mutig gefaltet
neben den irdenen Krug drapiert,
um sie anschließend flattern zu lassen
in einer Gebärde der Anmut
und Entsagung des Reichen;
wie sie mit verstohlenem Licht
in der Stimme mir
wie einer Blinden erklärt:
‚Jeder gehe seinen Weg’;
und wie sie dann,
den Kopf in der Schräge,
mich anlächelt aus einem
Glück heraus, das wie
eine reife Frucht
am Baume des Paradieses hängt
und immer erntet,
was es verspricht.
Bettina Oehmen
Seine Augen
In seinen Augen wohnt er,
aus ihnen tritt er heraus
über die Schwelle der Wahrnehmung,
nimmt wahr oder nimmt falsch,
je nachdem, ob man ihn anlügt
mit blankgedachten Sätzen
oder reisgestreuten Hochzeiten.
Blau sieht er die Welt,
blau wie der Mond hinter der Sonne
oder das Segel im Wind.
Wenn sie gestreichelt werden, seine Augen,
von fremdem Atem,
von lilafarbenem Atem,
werden sie zum Spiegel,
in den man hineingehen
und sich drehen oder wenden kann,
je nachdem, ob man ihn anlügt
mit langsamem Lidschlag
oder erweiterter Pupille.
Seine Augen geben wahr oder geben falsch
aus der Fülle des Blaus,
hinter dem er wohnt,
in dem er manchmal badet
wie in geprüftem Gedankengut.
Und seine Blöße gibt er nur
unter Umständen und auf Antrag.
Bettina Oehmen
Treib-Aus-Spaß
Vom Jäger, der sich jagen lässt,
von Trieben, die nicht treiben,
vom Trinken, dass sich munden lässt,
es lässt sich manches schreiben.
Vom Lügen, dass sich lieben lässt,
von Trieben, die nicht lügen,
vom Trügen, dass sich treiben lässt,
du lässt es dir genügen.
Vom Gehen, dass dich bleiben lässt,
von Bleibern, die nicht lieben,
vom Reifen, das dich leiden lässt,
es geht nicht nach Belieben.
Vom Hausen, dass dich heimeln lässt,
von Helden, die sich trüben,
vom Wägen, das sich wagen lässt -
du liebest besser drüben.
Vom Wundern, was sich sagen lässt,
von Wandrern, die sich wenden,
vom Lachen, das sich weinen lässt -
es mag in Treibsal enden.
Vom Künden, dass sich leiben lässt,
von Schüben, die dich schieben,
vom Anfang, der sich bleiben lässt,
du wärst vielleicht geblieben.
Bettina Oehmen
Leben-Tod-Traum
Zum Tode, der seit Ewigkeiten
uns Menschen darf zum Tor geleiten,
vermögen wenig wir zu sagen,
auch wenn wir stets ihn in uns tragen;
ein Rätsel, dass wir sterben sollen -
füllt er uns doch mit Lebenwollen.
Ist er am Ende gar ein leises
Vollenden uns’res Lebenskreises?
Birgt sich ein Lieben sondergleichen
in jenen unbekannten Reichen,
nach denen wir uns manchmal sehnen,
im Traume uns hinüberlehnen,
um jenseits jeglichen Begreifens
uns auszuruh’n vom Rausch des Reifens?
Wir sterben stündlich auf ihn zu,
auf uns’ren treuen Wegbegleiter,
und legt er uns zur letzten Ruh,
- vielleicht, mag sein, wenn wir’s bedenken - ,
dann träumen wir das Leben weiter.
Bettina Oehmen
Hoffnung
Da,
wo wir noch hoffen, gleichen wir einer Uhr,
die unregelmäßig tickt, vor- und zurückspringt,
sich ihrer selbst unsicher, ob die Zeit, die sie
angibt
der Zeit entspricht, die tatsächlich vergeht.
Denn unterm Hoffen, Warten und Bangen
dehnen sich die Räume zwischen den Sekunden
zu Lebensaltern
und schnellen mit einem Sirren zusammen
in den einen Punkt, den zeitlosen,
wo Hoffnung sich erfüllt.
Bettina Oehmen
Graffiti
Nächte voller Hingabe
Wände aus farbversprühtem Atem
Blockbuchstaben gegen das Nichtssagen
anders sein wollen
ohnmächtig sein
wie die anderen
Bettina Oehmen
Muster
Die Muster auf meinen Augenlidern
unterm fahrenden Himmel
ein Hell-Dunkel aus Nichtsehen
Negative der Wirklichwelt
ich innen
Bettina Oehmen
Exitus im Wilden Westen
Sonnenglut auf der verwaschenen Seele des Trinkers.
Wellblech, das erzittert unterm Geheul
des wüstenfarbenen Köters, der, das Gebiss weit aufgerissen,
an der Kette seiner ausgeträumten Hoffnungen zerrt.
Ein letzter Schluck des Herrn, nein, des Herrchens oder,
herrje: dies Gerülpse - Mensch oder Tier? Wer ist wer?
Gedanken in einem Hirn, das, löchrig geworden
wie der Blechnapf eines Cowboys mit krummen Beinen,
als sie noch aufrecht standen und den Griff
zum Colt möglich werden ließen;
Gedanken, durch deren unfreiwilliges Sieb die Vernunft
rhythmisch in den Staub klopft, Tropf für Tropfen.
Schau: im Rinnsal zwischen Dornen und
sanft glimmerndem Gestein spiegelt sich nun
der Himmel und die Frage:
wird die Schöpfung jenen weiteratmen
oder wird sie die Luft anhalten für den Moment
eines Todes...?
Bettina Oehmen
Für Angelika
Wie die Göttin der Jagd
eilst du leichten Fußes
durch den Wald deiner Träume
auf der Suche nach
dem vollkommenen Glück.
In deinem Haar nisten wie Sterne
die Momente der Einheit
mit dem Wesen der Schöpfung;
in deinen Augen wohnt
das Lächeln der Natur,
dort, wo sie, geliebt und gehegt,
sich dir entgegenneigt
in ihrer grenzenlosen Fülle.
Und die Ernte ist schon eingebracht
in deinem Herzen.
Bettina Oehmen
Akko
ölzweig der Hoffnung unterm
Turnschuh fußballspielender Jungs,
die gerne Fahnen in ihren Augen
verbrennen. Das Grün ihrer Sehnsucht
verlodert, Blut pocht in den Wurzeln
aus blankgeliebtem Holz; ihre Haine
aus Orange und Silber, runzlig, die Poren
vollgesogen mit dem Hass der Besiegten,
bergen so unendlich viele Steine.
Um wieviel lieber säten Liebe sie.
Bettina Oehmen
Tod in Israel
Ein Hang aus Knochenmehl,
der Menschenleben frisst,
ein Hang, der dort beschneidet,
wo doch wachsen sollte,
der Anhang eines Himmels,
der noch wüten kann.
Ein Kamm die Palme, bläst der
Wind den Todesmarsch auf ihren
ausgebroch’nen Zähnen und
weiß-blau nur und grau Erinn’rung
an ein hingehauchtes Leben,
das hinfort sich weit nach innen stülpt
und eine weit’re Sehnsucht ohne
Umtausch mit sich nimmt.
Gedächtnisstätte, eingerichtet von den Freunden eines erschossenen 18jährigen israelischen Soldaten bei Hamat Gader, dort, wo die stacheldrahtbewehrten Grenzen Israels, Syriens und Jordaniens zusammentreffen.
Tust du mir einen Ge-Fallen
oder stellst du mir eine?
Bist du schon unter den Tisch gefallen
oder willst du dich nur in den Wasser-Fall rein waschen?
Ist es vielleicht gar ein wasser-Dichter Fall,
der sich auf nichts reimen will
und der dein Fort-Kommen verwässert
im Falle deines Ver-Sagens,
wo du doch besser geschwiegen hättest
und Weg-gegangen wärst?
Ich werde dich auf jeden Fall nicht über-Gehen,
sondern unter-Wandern,
das habe ich dir
oder habe ich mich ver-sprochen?
Unser Wissen
wird missbraucht,
indem man es zum Ge-
Wissen herunterstuft,
dem man, noch
bevor es
in die
eigen-mächtige
Funktion zur Trennung von
„Liebe“ und „Nicht-Liebe“ treten kann,
ganz schnell die subjektiven gesellschafts-
und religionsabhängigen Benimmregeln des
„Was man tut“ und „Was man nicht tut“
und spezieller, ja infamer
„Wenn du das nicht tust,
hab ich dich nicht mehr lieb“
und „Wenn du das tust,
erst recht nicht“
einimpft.
So
mutiert es
sehr schnell zum
„schlechten Gewissen“,
was insofern eine richtige
Bezeichnung ist, als es mit dem
Wissen an sich nichts mehr gemein hat.
***
Sich gemein machen
Genug der Maskerade, sprich:
willst du nicht endlich einmal sein,
was du als Wahrheit in dir weißt,
was dich dein Ziel verfolgen heißt,
was dir mit einem hellen Schein
den Weg, von dem schon mancher wich,
in klareren Konturen zeigt?
Wie oft bist du denn abgezweigt
und hast mit hohlen Worten dich
begnügt, wie oft standst du allein
und wurdest munter abgespeist
mit Lügenmärchen, gar so dreist,
wie nicht mal uns’res Abels Kain
hätt’s ausgedacht, als er erschlich
sich Gottes Aug’, ihm zugeneigt?
Wie oft nun, Mensch, hast du vergeigt
mit deinem Bogen Strich um Strich
die Chancen auf dein echtes Sein,
hast Sprüchen, immer mehr entgleist,
hast Menschenaugen, so vereist,
dass du nicht wusstest aus noch ein,
hast ihnen dein Gehör und dich
geschenkt, hast nicht empört gestreikt,
sondern dich brav und stolz verneigt,
hast laut verkündet: „Ich und ich
erkläre euch bei Brot und Wein,
dass ich, eh mein Gehirn vergreist
und meine Sinne sind verwaist,
dass ich mich mach’ mit euch gemein,
nichts soll uns trennen, Stich um Stich
zerschneide ich, was ihr verschweigt,
und was dann in die Höhe steigt,
gehört nicht mehr zu uns, und dich
vergess’ ich auch, verzeihst du mir?“
Aus der Schönheit des Winters
erwachen wir zum Frühling.
***
Um Zeit zu haben,
muss man Zeit haben,
denn wenn man sie sich nimmt,
sie aber nicht da ist, entsteht ein
Handlungsvakuum, aus dem man
erst mit der Zeit wieder
herauskommt.
***
Bettina Oehmen
Tagmacht
Der, dessen Tag wie ein leckes Boot
verdümpelt im leeren Hafen,
versteht sich wohl ohne große Not
auf die Kunst, sich selbst zu bestrafen.
Denn unser Tag, er wartet darauf,
dass wir ihn stündlich bestücken;
er geht mitnichten bergab, bergauf,
noch hat er die Macht zu glücken.
Wir sind es, die mit unserer Kunst
vermögen ihn wohl zu gestalten.
Wer davon hat keinen blassen Dunst,
wird’s mit dem Dümpeln halten.
***
Der Nüchterne
gleicht dem Schüchternen;
beide verbergen die Glut
ihrer Sehnsucht.
***
Bettina Oehmen
Frage nach Meer
Im Dunkel der Meere hausen Gestalten
mit linsenden Augen, mit Höckern und Schwielen,
als wollten die göttlichen Schöpfergewalten
ein wenig nur spielen, ein Schauspiel entfalten
in lichtloser Tiefe, in Menschenferne.
Gallertige Massen aus Zauber und Schatten
in Schalen und Rüstung, verkrüppelte Sterne
auf wehenden Matten, wie Saatenkerne
der kommenden Zeiten. Wie werden wir leben,
wenn Wellen und Wasser uns wieder verschlingen,
wenn Nöcke und Nixen den Takt angeben?
Wird’s neu uns gelingen, wird unser Streben
nach Monden und Welten in Himmelsweiten
getilgt von den Brechern, den rächenden Fluten,
die auf und nieder seit ewigen Zeiten,
den bösen und guten, uns nun entgleiten?
Bettina Oehmen
Antike Liebe II
Milder weht dein
Atem nun an meiner Brust,
die noch eben deinen Hunger stillte.
Willst du meine Beeren nicht mehr kosten,
wand’re heiter in den Schlaf, Odysseus, du.
Hast dich verirrt an meine Küsten, alle meine
Hunde schwiegen, die mich sonst bewachen,
ja, sie schmiegten sich an deine Beine, die
so weit in mir gewandert, dass du nun
mich besser kennst als ich mich selbst.
Und mit Weinbeeraugen wirst du
mich beschauen, wenn du,
deiner Sinne mächtig,
aus dem Reich der
Schatten trittst.
Atme weiter,
gib mir den
oliventrunk’nen
schweren Körper, gib
ihn mir zur Aufbewahrung;
bist Geliebter mir, bist Kind und
bist mir Tod und Leben. Atme weiter
und verwehr’ mir niemals dich zu lieben
wie du, mondengleich, jetzt um mich kreist
und mich zum ird’nen Krug erkoren, stets mit
deinem Wasser, stets mit deinem Wein erfüllst.
Bettina Oehmen
Jetzt
Jetzt, in einem leichten Seitwärtsdrehen
gibt der Frühling Raum. Ein Wehen,
eine Ahnung und man spürt es kaum,
wie Wandlung leise eingetreten; Traum
und Wirklichkeit sind übereingekommen
und die Farben, grad’ verschwommen,
strahlen klarer. Unverhohlen
wird aus Blüte Frucht; verstohlen
breitet Sonne ihren Teppich aus.
Jetzt und jetzt will endlich Sommer werden,
will der Himmel, auf dem Vögel musizieren,
neue Lieder und es gieren
Bäume nach des Windes Hand, dem leichten
warm und zärtlich ausgebleichten
Atem auf den grünen Händen,
die sich raunend schmiegen. Enden
sollt’ es niemals, ewig sollte glühen
das Verlangen nach dem Blühen -
reine Liebe weben wir daraus.
Bettina Oehmen
ADE
Willst du kommen, willst du gehen,
willst dein Antlitz auf mich legen?
Willst du spüren, wie dein Sehen
sich verändern will deswegen?
Denn die Lippen, die dich küssen,
sind so sanft, und es geschehen
manche Dinge, die wir müssen,
anderes, das wird verwehen.
Bettina Oehmen
Wer Weiß Sehen
Wer weiß, ob es ein Morgen gibt,
das noch mit einem Morgen beginnt.
Vielleicht beginnt der nächste Tag mit einem Abend
oder gleich mit Nacht. Wer weiß?
Wer weiß denn schon vor dem Morgen,
was der Abend bringt? Und was,
wenn unser Kosmos, unser Universum
jetzt beschließt, das Atmen einzustell’n?
Noch vor dem nächsten Morgen?
Was weißt denn du davon?
Hast du’s gewusst, als heut’ der Wecker ging,
dass Abend war, schon Nacht,
und dass nur aus Gewohnheit alle dachten,
es sei Morgen?
***
Bettina Oehmen
Sehn-Sucht
Wenn wir unsere Süchte spazieren führen,
geleiten sie uns durch geheime Türen
über Hindernisse, die wir überwinden,
um das Ziel der Suche jetzt zu finden.
***
Bettina Oehmen
All-Tag
Mein All beginnt am Tag
und endet in der Nacht.
Und all das, was die Sterne
mir erzählen, sackt ins Schwarz
des Universums, das sich
sämtlich allgemein umfassend
immerzu nur nach mir umdreht
und mir kalte Schultern zeigt.
Ich picke All wie andernorts,
die Sterne nähren meinen Tag
und all das, was mich fliegen lässt,
verfliegt und endet
in der Nacht
all Tag.
***
Bettina Oehmen
Begierde
Wenn wir einander begehren,
begehen wir denselben Fehler,
den wir schon immer begingen.
Denn Begierde löscht die Liebe
grade dann, wenn wir sie nötig hätten.
Die Gier hält uns in Klauen,
die die Sinne schärfen
und den Herzmuskel so lang
und so beharrlich ritzen,
dass er schlaff wird,
grade dann, wenn wir
uns nehmen lassen.
***
Bettina Oehmen
Aufruf zur Liebe
Wenn Rosenmond
mit Flügeln aus geborgtem Licht
am Horizont verschwebt,
dann leg ich meine Lippen auf dein Herz;
und alles, was es pocht, vernehm’ ich wohl,
Du kannst mir nicht mehr sagen
als es längst schon weiß;
drum lass es schlagen, lass,
es drängt sich zu mir, will mein Puls sein,
will erst Haut sein zwischen dir und mir
und will dann Grenzen sprengen;
will die Botschaft sein,
der Mund, aus dem die Liebe
in den Himmel springt,
ein Lächeln, das entspannt
sich in die Rosenblätter bettet,
die der Mond verstreute,
lang bevor er schlafen ging.
Was sollen Zweifel uns, was ängste?
Hat nicht die Sonne uns mit ihrem Licht
die Augen hell gemacht,
damit sie stets erkennen,
wo die Liebe sich verbirgt?
Drum lass dich lieben, wo du lieben willst
und folg’ dem Rosenmond.
Komm, lass dein Herz im freien Fluge
sich verschweben dort am Horizont,
wo Lippen sich auf Herz gelegt,
ein neues Universum schufen,
deins und meins.
***
Bettina Oehmen
Frage nach den Spielregeln
Ist
ein Spiel ein Spiel,
solang’ es Regeln gibt?
Ist das Spiel nicht gar
der Gegenspieler
aller Regeln?
Sind wir frei mit Regeln,
oder maßregeln die Regeln
uns solange, bis wir reglos werden?
Wenn nicht, wer regelt unser Freisein,
und wovon?
Vom Geregelt-
oder vom Freisein?
Und?
Darf
ich jetzt
endlich
spielend
leben?
Bettina Oehmen
Spiegelmusik
Und immer, wenn du an mich denkst,
verschreibst mir den Text meines Liedes,
das ich dir soeben verschweigen wollte.
Hab’ Noten im Kopf und bei Leibe im Herzen
und wollte schon stummer beginnen,
als du mich begannst in deinen Gedanken.
Nun weis’ ich mich selbst in die Schranken
und schau von des Schlosses Zinnen
auf meine verlebten Jahre. Die Schmerzen,
die ich dem ewig Vergänglichen zollte,
das Denken daran, ich vermied es -
denn weiß ich, ob du mich verschenkst?
***
Bettina Oehmen
Trennung
Das Feuer des Abschieds ist schon verglommen
in meinen Augen; und wiedergekommen
ist Dunkelheit.
Die Schatten verziehen die Proportionen
des Raums, als würd’ ich hier nicht mehr wohnen.
Ich bin bereit
zu gehen auf meinen so leisen Sohlen.
Denk nur nicht, du habest mein Herz gestohlen,
so gut, so weit
bleib’ ich in den Wänden, die ich mir geschaffen
aus Liebe, aus Leid. Ich greif’ zu den Waffen
der Einsamkeit.
Bettina Oehmen
Parkplatz
Wäre er ein Paarplatz,
so könnten zwei
sich hier verbinden;
wäre er ein Patzer,
müsste man die
Fehlerquelle suchen;
wäre er karg statt Park,
so dächte man ihn sich
als Steppe;
wäre er ein Papa-Platz
könnten Väter hier
ihre Kinder ausführen;
ein Pan-Platz
würde den Ort
mit Gesang erfüllen,
Schalmeien und Flöten,
denn keinen muss
Schrecken ergreifen,
der Bocksfüße sieht;
wär’ er ein Panther,
so würde er jagen;
wär’ er indes Paradies,
würd’ das Raubtier ich küssen.
Wenn, ja wenn…
Doch, so wie es aussieht,
ist es ein Parkplatz,
und das, was ich sehe, sind Autos.
Bettina Oehmen
Parkplatz II
Der Platz im Park
unser Platz
die Bank auf der
du immer welke
Rosenblätter sammeltest
der Platz auf dem du
dir das weiße Kleid
mit Taubenkot beschmutztest
der Platz den ich dir
freihielt wenn du
so spät kamst
wie du wolltest
der platz der immer noch
Ausschau hält nach dir
der Park Platz auf dem ich
wie ein stehen gelassenes Auto
immer noch auf dich warte
Bettina Oehmen
Die Treulose mit dem Fächer
Ach, deine Qualen spür’ ich wohl,
ich wollt’ sie so gerne lindern,
doch, horch, mein Herz, es pocht so hohl,
es wird an der Liebe mich hindern.
Werd’ mich nicht rühren, ich werde tun,
tu’ so, als schlief’ ich. Dergleichen
hab’ ich schon öfter getan, und nun
wart’ nicht mehr auf mein Zeichen.
Bettina Oehmen
Die stolze Spanierin
Ich
bin älter
als dein Vergessen,
ich bin stärker als dein Mut,
ich bin trotziger als deine Feste,
ich bin tausendmal mehr Mensch
als du bei meiner Geburt!
Bettina Oehmen
Spanisches Gold
Im Wandel das Licht,
die türmenen Schatten,
ein Spitzen, ein Gleißen,
ein Himmelverheißen,
im Rascheln der Ratten
das Glaubensgericht.
Welch schimmernde Tränen
aus Herzstein geschaffen,
ein lautloses Stöhnen,
ein langsam Gewöhnen
an goldene Affen,
mit heiligen Zähnen.
Und vorn am Altar
will das Farbenspiel weichen,
die Tugend ohnmächtig
im Kirchengold prächtig
die Märtyrerleichen,
armselige Schar -
der Gott, den ihr riefet,
ist längst nicht mehr da.
Bettina Oehmen
Tagnacht
Und wieder dreht ein Gott am Rad,
und neuer Tag bricht an.
Und wieder lacht die Sonne dann,
macht Fünfe wieder grad’;
denn vorher lagen sie ganz schief
und ich mit ihnen. Jetzt
fühl’ ich mich beinah’ unverletzt,
bin wach, wo ich doch schlief.
Und Tag und Nacht, die ham sich gern,
doch ihre Ehe kracht,
denn sorgen sie nicht mit Bedacht,
dass sie sich ewig fern?
Bettina Oehmen
Richtigstellung
Heller Wahnsinn
dunkler Verstand
Bettina Oehmen
Resonanz
„Je dicker, desto voller.
Je hohler, desto leerer.
Je weicher, desto flüssiger.
Je härter, desto überflüssiger.“
„Meinst du mich?“
Bettina Oehmen
Mangel
Jakob liebt Esau um eines
Linsengerichtes willen;
leer wird sein Blick,
wenn Missernte droht.
Bettina Oehmen
Umgekehrter Schöpfungsprozess
Jeder
Körper erlaubt
es der Luft, ihn zu
umschmeicheln und in
ihn einzudringen. Jede Luft
erlaubt es dem Körper, in sie
hineinzugehen.
Wir
behandeln uns,
als wären wir Luft, die
es
erlaubt, den anderen zu
umschmeicheln, bleiben
aber draußen.
Die,
die
draußen bleiben behandeln
sich selbst, wenn ihre Körper
dessen bedürfen. Und sobald
wir
hinausgehen aus dieser Luft
und aus dem Hineingehen,
entweicht die Luft, und das
Schmeicheln entweicht und
alle
Körper.
Regen, anders gedacht
über die
blank geputzte
Himmelsscheibe
rinnt schon wieder
das Kondenswasser
himmlischer
Verrichtungen.
Bettina Oehmen
Rat an den Tatooträger
Der
DRACHE
im Muskelland
verzieht sein Maul,
weil ein Kaffee zum
Mund geführt wird.
Drachen mögen
keinen Kaffee,
sie
trinken Blut.
Lass wenigstens
die heiße Braut im
Lederlook ihn einmal
streicheln, PRINZESSIN
wird sie werden in deinem
Wünschearsenal, und du,
nur du
sollst sie BEFREI’N!
Bettina Oehmen
Salute
für Rainer
Du bist ein Spieler,
der die Sehnsucht
nach sich selber
hoch hinauf in
Lüftchen weht, die
keinem mehr zu
trüben Du erlaubst.
Du bist ein Segler,
dessen Bug die Wünsche-
Wellen teilt in Bläschen
aus amore, vino, pane.
Und aus Oliven
malst Du Süden,
immer Süden für die
Sehnsuchtsvollen,
jene, die die Sonne
trinken, die in ewig
jugendlichem Schwärmen
silbrig sardisch sich
auf Strände gießen,
weich gebettet auf
Ciabatta, Blues frizzante
und Dein Herz
aus Flügeln.
Bettina Oehmen
Nacht
Eine Scheibe Mond
überm Eichengewölbe,
eingebettet im
Guten-Abend-Himmel;
einstens noch Mördersichel,
heute nach allen Seiten hin
weich ausgebürstet,
ein zögerndes Nachtlicht
zum Ausknipsen.
Bettina Oehmen
Mondengesang
Weiß blüht auf der Mond;
an den Kirchturm gelehnt
bettet mit sanfter Gebärde er
das Städtchen zur Ruh’.
Und Augen in Mauern,
um die das Schattengewand
sich legt wie Asche aus Tag,
sie wenden nach innen sich,
staunen und weben ein anderes Sein.
Horch - nicht nur Träume
schneidet die Nacht mit ihren Flügeln
aus Atem und Lust; sie schlägt
aus den Welten, die jeder im
Schlummer sich leise erschafft,
den Funken des neuen Tags.
Sieh - schon bald tränkt den
himmlischen Saum er mit ewiger
Sehnsucht nach Sünde und Licht.